Was in einer Unverpackt-Handlung zusammenkommt, damit weniger zusammenkommt

Nieki Samar

Warum da_s?

 

Wie is(s)t man nachhaltig? Wie lebt man nachhaltig? Wie kauft man nachhaltig ein? Solche Fragen beschäftigen immer mehr Menschen – zunehmend auch mich. Einzelhandel und Gastronomie stellen (sich) auf den Bio-Trend, den Low-Carb-Trend und den veganen Trend ein und erweitern ihre Angebote entsprechend, um Bedürfnissen vieler Konsument_innen nachzukommen.

 

Unverpackt-Läden, das heißt, Läden ohne Plastikverpackungen, passen genau zur neuen Zero-Waste-Bewegung, zu Versuchen, ein Leben zu führen, das nicht zum wachsenden Müllberg beiträgt.

  

Zunächst habe ich mich im Internet orientiert, mir Blogs und Videos angeschaut, die den Alltag von Menschen thematisieren, die sich in einem solchen Leben versuchen. Es gibt Dokumentationen und Eigenberichte (Sartin/Krauss 2017), die die Lebensumstände und Bemühungen von Müllreduzierenden aufzeigen, manchmal sogar in ihrer Wirksamkeit hinterfragen.

 

Um Einblicke in die Unverpackt-Handlung zu gewinnen, habe ich mich in dem Laden, der später mein Forschungsfeld werden sollte, als Konsumentin umgeschaut und mich anschließend darum gekümmert, zu Forschungszwecken dort ein einwöchiges Praktikum absolvieren zu können.  

 

Einblick in eine Unverpackt-Handlung (Ausschnitt aus 360° Bild, mit freundlicher Erlaubnis von "natürlich unverpackt")
Einblick in eine Unverpackt-Handlung (Ausschnitt aus 360° Bild, mit freundlicher Erlaubnis von "natürlich unverpackt")

Der Unverpackt-Handlung folgen

 

Kulturwissenschaftliche Auseinandersetzungen mit Müll und Abfall liegen bereits vor (z. B. Scharfe 1988, Windmüller 2002). Müll wird dabei als ein modernes Phänomen beschrieben, das erst mit der Industrialisierung und der damit verbundenen Massenproduktion sowie dem Städtewachstum aufgekommen ist (Windmüller 2002: 34) Mit Zunahme des Verlangens nach Hygiene und Sauberkeit begann auch der Versuch, die wachsenden Müllmassen zu verdrängen (ebd.: 33-35). 

 

Vor allem zu Zeiten des Wirtschaftsaufschwungs in den 1950er/60er Jahren entwickelte sich die "Sammel- zu einer Wegwerfkultur" (Scharfe 1988: 16). Martin Scharfe, der dies untersucht hat, spricht in diesem Zusammenhang von dem Versuch der Nachkriegsgeneration (und die darauf Folgenden), sich von der Elterngeneration unterscheiden zu wollen und die Last des Nationalsozialismus, die ihnen hinterlassen worden war, zu verdrängen – wegzuwerfen (ebd.).

 

Erklärungen und Deutungen für den Müllberg lassen sich folglich relativ leicht finden. Gleiches gilt sicherlich auch dafür, dass der Müllberg besser reduziert werden, besser gleich ganz verschwinden sollte. Mein Thema ist allerdings die Müllreduktion in der Unverpackt-Handlung. Die Aufgabe, vor die ich damit gestellt bin, besteht im folgenden: Die Aufmerksamkeit, die vielen Menschen  so wie mir  heute selbstverständlich ist, wenn es darum geht, die Müllanhäufungen wahrzunehmen, soll auch bei der Erforschung der Müllreduktion in der Unverpackt-Handlung entwickelt werden.

 

Mein Ziel soll es dabei nicht sein, Zweifel an der Möglichkeit der Verringerung des Müllbergs zu streuen bzw. die Unverpackt-Handlung(en) als vergeblich darzustellen  als einen Tropfen auf den heißen Stein. Mein Ziel soll stattdessen sein, der Fülle dessen, woran die Müllreduktion in der Unverpackt-Handlung hängt, zu folgen –  bestenfalls so, als ob ich es mit einer mir völlig fremden Welt zu tun hätte.

Zu-Taten der Unverpackt-Handlung 

 

"Können Sie mir einmal erklären, wie das hier so funktioniert?" – eine häufige Frage im "natürlich unverpackt" in Münster. Der Name eines verpackungsfreien Laden, der es sich zum Ziel gemacht hat, Lebensmittel und andere Gebrauchsgegenstände des alltäglichen Lebens ohne jegliche – oder zumindest ohne Plastik – Verpackungen zu verkaufen.

 

Müsli zu kaufen ist hier natürlich möglich. Es gibt Cornflakes, Haferflocken, Rosinenmüsli und andere Sorten. Bei der Supermarkt-Kette in derselben Straße ist die Auswahl ähnlich, allerdings gibt es dort mehr als einen Unterschied zum Unverpackt-Laden: Alles ist schon fertig abgewogen, in eine Kunststofftüte und nicht selten auch noch in einen Pappkarton gepackt. Dabei muss gesagt werden, dass Plastik auch aus der Unverpackt-Handlung nicht gänzlich verbannt ist. Auch hier gibt es große, auffüllbare Plastikbehältnisse, die in Reihe an den Wänden der Ladens angebracht sind (Bild oben) und Kanister, in denen Putzmittel und Flüssigseifen angeboten werden (nicht zu reden von dem WDC-Plakat an der Wand mit dem Slogan "Weniger Plastik ist Meer"). 

 

Zu-Taten der Unverpackt-Handlung (Fotos: Nieki Samar)

 

Die röhrenförmigen Plastikbehältnisse lassen sich auswaschen und wieder befüllen, genau so wie mit neuen Papier-Etiketten versehen, auf denen der Inhalt, dessen Herkunft und der Preis pro 100 Gramm angegeben sind. Wenn ein Behälter leer ist, kann man ihn aus der Wand nehmen und in einen der Lagerräume bringen. Dort stehen Regale, auf denen sich Papiersäcke nach einem bestimmten Ordnungssystemen stapeln. Wenn der richtige Sack gefunden ist, kann die Röhre neu befüllt und zurückgestellt werden.

 

Das "Kernstück" (Foto: Nieki Samar)
Das "Kernstück" (Foto: Nieki Samar)

Die Chefin deutet auf die Waage in ihrem Laden: "Das ist das Kernstück, wie ich immer sage." Wer 400 Gramm Mehl und zwei Teelöffel Backpulver für einen Kuchen braucht, kann hier genau das bekommen, ausgegeben in die mitgebrachten Gefäßen, Dosen, Schüsseln oder Boxen. 

 

Aber wie funktioniert das jetzt nochmal genau? Zuerst werden eben die Transportgefäße – ohne Inhalt – gewogen. Die Waage druckt dann automatisch einen kleinen Papier-Sticker aus, auf dem das Gewicht aufgedruckt ist. Optional können die Gefäße auch mit einem permanenten Stift beschrieben werden.

 

Danach kann das gewünschte Produkt abgefüllt und an die Kasse gebracht werden, wo das Gewicht (auf dem Sticker) von dem auf der Kassenwaage angezeigten Gesamtwert abgezogen wird. Anschließend muss noch der Preis des Inhaltes ermittelt werden und bezahlt werden.

 

Während meines Praktikums kommt eine Frau mit einem jungen Kind in das Geschäft. Das Kind schaut lustlos durch den Laden. Sie stellt ihren mitgebrachten Korb, der voll mit Glasgefäßen ist, vor der Waage ab und holt das oberste Gefäß heraus. Ich erkenne noch ein verwaschenes Passataschild auf der Vorderseite. Sie stellt es auf die Waage, ein leises Geräusch ertönt und der Gewicht-Sticker erscheint unten aus dem Gerät.

 

Das Kind guckt zu und seine Augen werden größer. Es nimmt die nächste Dose aus dem Korb, stellt es auf hohen Zehenspitzen auf das "Kernstück", um dann erwartungsvoll den Bon darauf kleben zu können. Vor einer Röhre bleibt das Kind stehen: "Können wir auch das andere Müsli nehmen? Das mit Rosinen?" "Ja, aber mach' das Glas nur halb voll, wir probieren das mal."

 

Gefäß wiegen, bekleben und befüllen, und noch einmal und noch einmal. Wo das Kind dran kommt, darf es selbst befüllen, sonst die Gläser bekleben und anreichen. Danach räumt die Frau ihren Einkauf auf die Theke, wo alles einzeln noch einmal gewogen und dann bezahlt werden muss. Einen Bon gibt es auch, das ist gesetzlich so geregelt. Danach kann der Heimweg ohne Müll antreten werden. 

 

...und noch mehr (Fotos: Nieki Samar)

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• Martin Scharfe (1988), Müllkippen: Vom Wegwerfen, Vergessen, Verstecken, Verdrängen und vom Denkmal, in: Kuckuck: Notizen zur Alltagskultur und Volkskunde 3/1, S. 15-20.

• Hannah Sartin/Carlo Krauss (2017), Wie wir es schaffen, ohne Müll zu leben, München.

• Sonja Windmüller (2002), Die Kehrseite der Dinge: Müll, Abfall, Wegwerfen als kulturwissenschaftliches Problem, Münster.